Oliver Scholten /Berlin

Gropiusstadt.

Aufgewachsen bin ich hier nicht.
Trotzdem. Das Lipschitzbad war das Bad meiner Jugend.
Mein erster Köpper vom Dreimeterbrett. So sechs war ich da.
Für n´en Fünfer mehr Taschengeld. Heute glaube ich, nicht mal mehr für fünfhundert.
Zur gleichen Zeit schenkten meine Eltern mir meine erste Kamera, zum Geburtstag.
Zwickauer Damm, Wutzkyallee, Lipschitzallee, Britz-Süd.
Stationen früher Schulfreundschaften. Linie 7.
Im damaligen Panorama Britz den ersten nicht jugendfreien Film.
Der Bat-Yam Platz; mir einigermaßen vertraut. Früher gab es hier das Haus der Mitte, so etwas, wie ein Jugendzentrum. Ich war lediglich einige Male da.
Negative aus dieser Zeit muss es auch noch irgendwo geben. Die ersten selbst entwickelten Filme, Ende der siebziger Jahre. Hochhäuser waren drauf, schwarz-weiß. Gropiusstadt.
Fünfundzwanzig Jahre später.
Zum ersten Mal wohne ich in einem dieser Häuser, und trotzdem hat es etwas von Rückkehr.

Auszeit.

Alle Termine abgesagt. Sieben Tage. Tagsüber nur fotografiert, abends meist Unterricht für drei Stunden. Meine Fotoklassen habe ich hierher geholt.
Unterricht im Wohnzimmer oder auf der Straße. Keine Klassenzimmer, sondern
Realräume. Nicht alle sind bereit, sich zu bewegen.
Endlich wieder einmal bei mir sein, mit mir sein.

Fallensteller.

Die Couch mein allabendlicher Hochstand.
Auf dem Tisch gegenüber das Arsenal meiner fotografischen Apparate. Für alle Fälle.
Keine Chance, meinen geschickt gestellten visuellen Fallen zu entkommen; oder doch?
Die Situation scheint zu wissen, dass ich sie belauere, dass ich ihr nur temporär etwas abverlange, und so zeigt sie mir nicht mehr, als ihre unbedeutende Oberfläche.
Sie hält mich hin und ich jage.
So trage ich die Beute nach Hause, die sich auf den Tischen und dem Fußboden vor dem Bett sammelt und in dünnen Streifen zum Trocknen aufgehängt neben dem Klo.
Die Fotografie ist eine dünne Haut.
Eine Wahrnehmungsmembran sozusagen. In verschiedene Richtungen durchlässig.

Bildstörung.

Der Fernseher neben dem Sofa wird zum Fenster nach draußen, da unten, sonst wohin.
Irgendeine Realität sickert da langsam Abend für Abend aus diesem kleinen weißen sechziger Jahre Plastikgehäuse in meinen Schutzraum, schwarzweiß, deckt mich zu und treibt mich in den Schlaf. Manchmal schrecke ich hoch, und schaffe es noch nach nebenan, auf die Matratze.
Morgens wache ich dann auf. Auf dem Sofa.
Wieder in Farbe.
Ich glaube, die Woche war ein traumloser, bilderleerer Schlaf.
Alles aufgereiht vor dem Bett; kleine bunte Quadrate.
Der Schlaf als konsequente bilderfreie Zone.
Bin ich sicher hier drinnen ?
Monate später an einem ganz anderen Ort in einer ganz anderen Zeit sitze ich wieder vor einem Fernseher und fotografiere, und die Oberflächen geben plötzlich Ihre Bedeutung frei.
Ich habe gewusst, dass ich nur warten muss.
Das Innere der Bilder hat langsam das Offensichtliche der Oberfläche durchdrungen.
Es ist alles, wie ein sich langsam entwickelndes Polaroid.
Fotografie passiert nicht in einem Augenblick,
sondern davor und danach.