Susanne Albrecht-Boer/Herford

Wenig Bodenhaftung- Seltsame Rituale

Zunächst war ich erstaunt, wie viele alte Menschen in der Gropiusstadt unterwegs sind. Dann habe ich darüber nachgedacht, was es bedeutet, hier alt geworden zu sein, oder eben hier Kind zu sein und die Sozialisierung noch vor sich zu haben. Also beschäftigte mich die Frage von Formen und geformt werden, und inwieweit wir Menschen unsere Umgebung beeinflussen und vice versa.
Eine Strategie, die gleichförmige Umgebung und den Alltag individuell anzueignen, ist, Dingen oder Handlungen besondere Bedeutungen zu verleihen. Kinder tun das manchmal spielerisch mit viel Fantasie, bei Erwachsenen kann es pathologische Züge annehmen und zwanghaft werden. Beides konnte ich mir hier in der Gropiusstadt gut vorstellen.

Nach drei Tagen im Apartment in der Gropiusstadt begann ich mit seltsamen Angewohnheiten.

Seifenblasen
Mit dem ersten Morgentee begebe ich mich auf den Balkon und blase Seifenblasen, die je nach Luftlage schnell nach oben oder unten getragen werden. Sie ziehen an den Fenstern der Nachbarn vorbei oder auch schon mal auf die anderen Balkons. Manche kommen auch in eine Luftströmung, die von der Hauswand wegführt. Dieses wiederhole ich, bevor ich das Haus verlasse, manchmal vom Balkon zum Müllschlucker, um meine Signale auch zu einer anderen Seite zu senden. Die bunt schillernden Kugeln, mit meinem Atem gefüllt, bleiben erstaunlich lange in der Luft, bevor sie zerplatzen. Ich lasse jedes Mal Hunderte davon in den Luftraum fliegen. Einmal antwortete jemand mit herabschwebenden Blütenblättern.

Während diese Marotte sichtbar verläuft, bleibt die andere ungewöhnliche Angewohnheit im Stillen.

Fahrstuhl Orakel
Im Haus gibt es zwei Aufzüge. Steht man davor, ist einer rechts und einer links. Ich begann dem Fahrstuhl Bedeutung beizumessen, der mich morgens runterfuhr. Der rechte stand für die emotionale Seite, der linke für die rationale Seite. Beförderte mich also der rechte Fahrstuhl nach unten, bedeutete das in etwa: Folge deinem Gefühl – und galt als Prophezeiung für die anstehende Aktivität. Wurde ich von dem linken Fahrstuhl nach unten getragen, bedeutete das: Deine Analyse der Dinge ist richtig, handele in ihrem Sinne. Dieses Orakel könnte natürlich verfeinert werden durch Aspekte wie „Fährt eine andere Person mit?“; „Welcher Fahrstuhl bringt mich wieder nach oben?“; „Gibt es einen Zwischenstop in einem anderen Stockwerk?“, u.s.w.