Birger Jesch /Blankenhain (weiterführendes)

Mein Blind Date mit Frau Winterfeld

Am dritten Tag meines Aufenthalts im Quartier lerne ich eine Frau per Anzeige kennen. Sie hatte im Café am U-Bahnhof Lipschitzallee ihre Dienste als Brand-Porträtistin plakatiert. Ein erster Kontakt im besagten Café kommt schnell zustande. Hauptthema des Gesprächs ist unsere völlig ungenügende Auftragslage. Denn auch ich biete seit geraumer Zeit kunsthandwerkliche Portraits nach Fotovorlage an (www. portraitwerkstatt.net).
Wir einigen uns darauf, jeweils den anderen in seiner Technik abzubilden. Für sie ein Auftrag, für mich ein zu entdeckender Volkskunststil.
Frau Winterfeld, 1962 in Königsberg im Schwarzwald geboren, kommt 1969 mit den Eltern nach Berlin.


Nach 14 Jahren Arbeit in der Krankenpflege in Lichterfelde nehmen ihr nach dem Mauerfall die besser zertifizierten ostdeutschen Berufskollegen die Arbeit weg. Ungeniert lässt sie Dampf ab, obwohl ich meine Herkunft offen lege. Ihre berufliche Neuorientierung: Wachschutz. Ob Personenschutz (OB Momper, Joschka Fischer) oder Objektschutz (Reichstag) – sie kennt sich aus. Als Wachhundausbilderin hat sie das Kommando über die scharfgemachten Vierbeiner. Des Nachts auf der Baustelle mit dem Abgerichteten ohne Maulkorb: “…die beißen zu, dorthin, wo´s beim Mann am wehesten tut…“. Nachdem Bianka Winterfeld die Schichtarbeit 1999 wegen Schwangerschaft aufgeben muss, mietet sie in der Gropiusstadt eine Wohnung. Jobs werden rar. Unter anderem versucht sie es jetzt mit Brandmalerei. Ihr Vater, Tischler, schleift die Brettchen wieder glatt, wenn doch ein Auftrag nicht abgeholt wird. Ich besuche sie und fotografiere den Sohn Florian und ihren Heimarbeitsplatz. Zum Jahresende 2005 bekommt sie die Silhouettengraphiken und ich den Holzteller mit Portrait nach Foto.
Von meiner geplanten Intervention am Kölner Damm habe ich Frau Winterfeld nichts erzählt. An jedem Lichtmast wollte ich kurz über dem Boden ein Wiener Würstchen anbinden. Zum Test werden am 23. November die Andreaskreuzsockel am Bahnübergang bewurstet, Lockstoff für die dort ausgeführten Hunde, eine kleine Feldstudie zu Trieb und Gehorsam. Die von mir beobachteten Leinengänger riechen anscheinend nichts. Am nächsten Morgen finden sich allerdings nicht einmal Restspuren der Installation. Wen speise ich da?