Katrin Glanz / Berlin

„bis die Luft platzt“
Berlin Gropiusstadt 19. – 25.6.2006, während der Fußballweltmeisterschaft

Hitze. Um mich herum nur Flaggen.
Als ich auf den Balkon trete, zieht die Nachbarin die Gardinen zu.

Ich kurve mit dem Fahrrad durch die Gropiusstadt. Ein Typ eilt mit einem Einkaufswagen voll Bier und Schnaps vor den Hochhauseingang. Plötzlich zieht er seine Trillerpfeife heraus, ein lauter Pfiff und ihm wird geöffnet.
Die Sonne brennt auf den Asphalt.
Die Einfamilienhäuser haben sich ganz schön abgekapselt. Überall gibt es Schilder „Privat“ und Wegsperren. Swimmingpools schimmern durch die blickdichten Zäune. So hatte sich das Gropius sicher nicht gedacht.

Die Nachbarin grüßt jetzt. Jedes Mal, wenn ich gucke, sitzt sie auf der gleichen Stelle ihres Sofas im Halbdunkeln.
Knall, Knall und noch mal Knall – ein Feuerwerk! Deutschland hat gegen Ecuador gewonnen, 3 zu 0. Ab ins Achtelfinale. Die Leute spielen verrückt. Es wird immer schwüler. Gleich platzt die Luft.

Ich muss auch flaggen. Ich schaue mir die Grundrisse noch einmal an. Die Wohnung ist ein Blütenblatt. Die Gropiusstadt – ein fliegender Vogel.

Jetzt hängt meine Flagge über der Balkonbrüstung. Ein blauer Vogel – die Gropiusfahne.
Die Nachbarin zieht die Gardinen wieder zu.
Kleine Pochgeräusche. Schmücken die Leute ihre Wohnung? Ich will auch. Die blauen Mülltüten eignen sich prima für eine Flagge im Wohnzimmer.

Freitag mit meiner Flagge unterwegs: Fragende Augen.
Ein Junge: „Ist das die Fahne der Elfenbeinküste?“
Ein Mann: „Was ist denn das? Die spielen doch gar nicht.“

Samstag spielt Deutschland gegen Schweden.
Nachmittags unterwegs:
Kleiner Junge: „Bist du die Bundeskanzlerin?“
Junge Frau: „Was ist denn das für eine Fahne?“ Ich: „Rate mal!“ Sie: „Hat bestimmt was mit Freiheit zu tun.“
Die Leute sind aufgeweckt.
Junge: “Ist das Schweden?“
Aus den Gropiuspassagen werde ich vom Sicherheitspersonal höflich rausgeschmissen. Es hätte angemeldet sein müssen: „Deutschlandfahnen ja, aber so was...“
Diskutieren hilft nicht. Um die Ecke und weiter.
Schmunzelnde Gesichter.
Junge türkische Frau mit drei Kids: „Berliner Bär.“
Mann: „Ein Adler.“
Kind: „Mami, guck, mal, Mami guck mal!” Sie: “Ja, das ist unser Bezirk.”

Die Kirchenglocken läuten. Das Spiel beginnt. Die Straßen sind leer. Im „Ideal-Pavillon“ geht die Post ab. Der Wirt ist durch die Flagge etwas verunsichert.
Nach vier Minuten schießt Podolski das erste Tor, nach zwölf Minuten das zweite. Ich ziehe weiter.
Die Leute feixen. 2 zu 0. Auf ins Viertelfinale.
Nächste Woche muss ich wohl mit der Gropiusflagge durch Berlin-Mitte