Sylvia Henrich/Berlin

exotisch-herb

Auf dem Flohmarkt habe ich ein altes Foto gefunden, auf welchem eine Frau sich selbst und ihren, in einem kleinen Käfig sitzenden, exotischen Vogel im Spiegel ihres Schrankes porträtiert hat. Der Vogel ist doppelt zu sehen: "real" vor dem Schrank und in seiner Spiegelung in der Scheibe.

In der Gropiusstadt mache ich mich auf die Suche nach Bewohnern, die sich weit entfernte Regionen dieser Welt in ihr Leben, ihre Wohnungen geholt haben, indem sie sich beispielsweise ein exotisches Tier halten. Ich erkundige mich nach Papageien. Der Besitzer einer Tierhandlung erzählt mir, dass er in Gropiusstadt niemanden mehr kenne, der einen Ara besitze. Diese Tiere seien im Gegensatz zu früher inzwischen nur noch als teure Zuchttiere zu bekommen.

Zwischen meinen Ausflügen bin ich immer wieder "zuhause" auf meinem Balkon, berausche mich an der Aussicht und produziere die übliche Masse digitaler Fotos. Ab und zu fahre ich in den 22. Stock, betrachte die Spitzen der Hochhäuser im Sonnenuntergang, beobachte, wie die Scheiben der Fenster das Licht reflektieren, und sehe Alpenglühen. Später begegnen mir in einem Buch über Mineralien Kristalle, die aussehen wie die Miniatur einer Hochhausansammlung.

In einem Altersheim entdecke ich schließlich zwei Papageien, die dort permanent in einer Voliere leben. Auch an eine der Außenmauern hat jemand einen riesigen Papagei gemalt. Auf der Suche nach Postkarten in einem Schreibwarengeschäft um die Ecke finde ich einige Bergpanoramen. Ich kaufe die beiden Matterhornansichten.

Zum Abendessen gehe ich in die Mall. Hier stoße ich auf Wandgemälde von tosenden Wasserfällen und Gauchos am Lagerfeuer und auf ein Werbeplakat dieser Mall, das die Rückenansicht eines Paares vor einem Berggipfel im Abendrot zeigt mit dem Slogan: "...und trotzdem fehlte ihnen etwas: Gropius-Passagen". Ich bestelle ein Steak und einen exotischen Cocktail und beschließe, meine Suche zu einem späteren Zeitpunkt in der Bibliothek fortzusetzen.

Kontakt: mail@sylviahenrich.de