Judith Karcheter/Berlin
22.5.06 Gropiusstadt
Ich wollte in diese Wohnung, um eine Woche lang ununterbrochen an ihn denken
zu können. Wenn ich durch das Fernglas schaue, finde ich nur Fenster, bis
in den Himmel.
Wenn ich an Gropius denke, denke ich an Alma, denke an diese Tragödien,
an Leidenschaft und nicht an Häuser.
23.5.06.
Der Himmel beginnt, sich violett zu färben, und die Wolken fliegen zu mir
ins Zimmer. Ich könnte ihn anrufen, er würde kommen, und wir könnten
uns gemeinsam diesen Himmel anschauen. Wieder verfängt sich dieses kribbelnde
Gefühl in meinem Körper, es verursacht Schmerzen, und dieses Dröhnen
im Kopf wird zu einem Signal.
Heute habe ich mir drei Pfingstrosen gekauft und eine rote Rose, für mich,
aber eigentlich für dich. Das rote Herzkissen liegt jetzt auf meinem Bett
und verweist auf meine unerträgliche Situation.
25.5.06
Seine Stimme klang unentschlossen und auch weich, vielleicht würde er noch
kommen, später oder auch morgen.
Ich denke über anschwellende und abschwellende Körper nach, über
Menschen und ihren Radius und diese Wechsel von Empfindungen, die sich schubweise
mit der Zeit vorwärts drücken. Ich fotografiere mich in der Wohnung,
am Fenster, am Tisch, mit Blumen, ohne Blumen und dem Kissen. Heute morgen habe
ich mir ein Herz auf die Backe gemalt.
Gestern bin ich in den 22. Stock gefahren, der Anblick ist gewaltig. Nachts,
kurz bevor die Sonne untergeht, leuchtet noch einmal alles auf und wird kurz
in ein magisches Licht getaucht.
26.5.06
Gestern abend war ich bei ihm. Ich spürte zum ersten Mal seinen schmalen
Körper und war fast erschrocken über diese Zerbrechlichkeit, die mir
entgegenströmte. Mein Herz pochte bis zum Hals.
Heute kam er zum Tee, aber ich hatte zuviel nachgedacht. Wir fuhren in die 22.
Etage, und ich zeigte ihm diesen Blick auf Berlin. Wir waren so weit weg von
allem, alles schien minimal klein unter uns. Wir tranken Tee, aßen Erdbeeren,
und er erzählte mir von Buenos Aires und seinen Großeltern, über
seine Wurzeln, über Papageien, die mehrere Sprachen sprechen, über
Miami, wo sein Cousin wohnt, der drei Autos besitzt und eines dieser langweiligen
Häuser. Die andere Geschichte handelte von Perlen, die Tränen hervorrufen,
wenn man sie trägt. Der Sohn einer Schwester seines Großvaters hatte
sich vom Plastikkettenverkäufer auf Märkten zu einem erfolgreichen
Juwelier hochgearbeitet und wohnt jetzt in Mailand in einem riesigen Loft unterm
Himmel.
Er musste plötzlich gehen, er erwartete noch Besuch.
Zurück ließ er den verschütteten Zucker auf dem Teppich und
das Bild, wie er im Gegenlicht stundenlang rauchte und mich derweil auf die
Reflektion, die sich auf dem schwarzen Stuhl spiegelte, aufmerksam machte.
Er drehte sich nicht nach mir um, als er mit dem Fahrrad davonfuhr.
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