Barbara Wille/Berlin

Einmal erzählte uns Albert, dass er für eine Woche in die Gropiusstadt zieht. Ich mochte die Idee, mal für kurze Zeit in einer völlig anderen Gegend zu wohnen und beschloss, mich auch um einen temporären Aufenthalt zu bemühen. Ich kannte die Gropiusstadt aus meiner ersten Zeit in Berlin. Mit Günther hatte ich damals ein Projekt in einem Jugendzentrum realisiert: ein tragbares S/W Fotolabor mit einer Lochblende, eine Art begehbare Sofortbildkamera. Die Jugendlichen hätten sie wie eine Sänfte durch die Gropiusstadt schleppen sollen und Bilder von Menschen und Häusern machen können, die dann vor Ort entwickelt worden wären. Weil aber das Loch so klein und die Berliner Wintertage so kurz waren, blieb die Camera Obscura im Jugendzentrum, und wir machten damit Portraitaufnahmen von den Jugendlichen, oder sie knutschten in der black box. Ich glaube, das Projekt war erfolgreich, weil alle auf ihre Art etwas damit anfangen konnten. Die Jugendlichen haben zum ersten mal in ihrer Pubertät 10 Sekunden still gestanden, um ein einigermaßen scharfes Bild von sich zu bekommen. Die türkischen und arabischen Jungs waren entsetzt, weil ihre schwarzen Haare weiß erschienen.

Die Kuratoren vom Pilotprojekt haben sehr kurzfristig noch die Pfingstwoche frei. Die Wohnung hat mir sofort gefallen, sehr hell und interessant geschnitten. Das Hochhaus ist wie ein Vier-Sterne-Hotel in der ersten Reihe am Südstrand der alten Insel West-Berlin. Die weiten Felder Brandenburgs branden hier noch immer an den ehemaligen Mauerstreifen, der heute intensiv von Hundebesitzern genutzt wird. Viele Westberliner haben ihren Urlaub auf Inseln verbracht, und unsere Freundin Yvonne, die in West-Berlin aufgewachsen ist, gerät immer erst mal in Seenot, wenn sie mit dem Auto die ehemalige Grenze passiert, um uns in Mitte zu besuchen.

Für Pfingsten in der Gropiusstadt habe ich mich mit Lebensmitteln eingedeckt. Ich mache ausgedehnte Spaziergänge und fotografiere viel. Besonders interessieren mich die Blicke von der Seeseite aus auf die Gropiusstadt. Dann sehen die Häuser aus wie die Kreidefelsen von Rügen. In den 17 Jahren nach Mauerfall sind nach und nach die Felder in Bauland umgewandelt worden, und Doppelhaushälften und der Aushub von Baugruben türmen sich allerorten. Neue Claims werden abgesteckt und Russlanddeutsche Clans verwirklichen vor der Kulisse der Gropiusstadt mit bloßen Händen ihre Vision vom Eigenheim. Öde Ecken in der Trabantenstadt interessieren hier niemanden. Die Vögel zwitschern und die Pfingstglocken läuten. Opa sammelt Wildkräuter, man spaziert durch die Felder und erfreut sich an der Frühlingssonne. In der Wohnung fällt mir manchmal die Decke auf den Kopf. Mit meiner Nikon kann ich zwischen den Hochhäusern den Turm der Zionskirche spotten.