Gabriele Undine Meyer / Bielefeld

Vorübergehende Behausung / 2008

Eine Woche hause ich in der Wohnung in der 12. Etage des Gropiushauses, Lipschitzallee 49. Von der äußeren gewölbten Seite wirkt das Gebäude mit seinen kuriosen halbrunden Treppenhaus-Balkonen abweisend und wie eine uneinnehmbare Trutzburg. Nähere ich mich dem Haus von der anderen Seite durch den kleinen Park, wirkt es ebenfalls übermächtig und wie ein alles verschlingender Moloch, der nur auf das nächste Opfer gewartet hat. Schaue ich jedoch aus den Fenstern der (Künstler-)Wohnung, so bietet sich eine „Fenster zum Hof“-Aussicht, wie sie anregender kaum sein kann. Jeder Licht- und Wetterwechsel hat seinen eigenen Reiz: Die öd-graue Fassade mit ihren vielen Balkonen wirkt am regnerischen Morgen noch trostlos, bei Sonnenuntergang mit wandernden Lichtreflexen in den Fenstern wie golden und in der Dämmerung mit vielen verschiedenfarbigen Zimmerbeleuchtungen nahezu anheimelnd. Zunächst bewege ich mich immerzu so durch die Wohnung, dass ich durch kurzes Heben des Kopfes das innere Halbrund des Hauses im Blick habe. Die wenigen Menschen, die ich auf Balkonen und an Fenstern sehe, wirken winzig in der Ferne, bieten trotzdem genügend Anlass für Fantasien über ihr Leben in diesem Haus in der Gropiusstadt.
Über den Bau eines Modells der Wohnung aus Wellpappe versuche ich, die Architektur des Gropiushauses zu verstehen: Das Halbrund, das eine Verjüngung der einzelnen Zimmer in Richtung Innenkreis zur Folge hat, der leichte Schwung der Diele, die Aufteilung der Wohnung in einen eher repräsentativen Bereich mit Küche, Esszimmer, Wohnzimmer, (Gäste-)WC und, mittels einer Tür davon abgetrennt, einen intimeren Bereich mit Schlafzimmern und Bad. Durch das Modell meiner „vorübergehenden Behausung“ wirken die Ausblicke noch reizvoller, und ich kann mich kaum satt sehen.

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